Im ersten Bundesligaspiel der Saison schlug Schalke Hannover 96 mit 3:1. Doch noch vor dem zweiten Spieltag nahm das Sportgericht Klaus Fischer und Stan Libuda in eine Vorsperre. Richtig verwundert hat das niemanden mehr. Aber die Frage war: Musste man mit der Sperre bis unmittelbar vor dem Spiel gegen Kaiserslautern (das Schalke mit 0:2 verlor) warten? Präsident Siebert war nicht mehr zu halten: „Wenn das so weiter geht, gibt Schalke die Lizenz zurück.“ Ein einziger Satz nur brach Schalkes Mittelstürmer Klaus Fischer das Genick: „Da kann er ruhig hinschießen.“ Gemeint waren damit zwei Schüsse von Aki Lütkebohmert gegen den Pfosten beim besagten Spiel gegen Bielefeld. Gehört haben will diese Worte der Arminen-Spieler Volker Klein, als beide den Strafraum verließen. Klein bestätigte diese Worte noch einmal ausdrücklich vor dem DFB-Gericht in Frankfurt. Da wäre er zunächst ganz verblüfft gewesen, erzählte Klein weiter. „Hatten Sie den Eindruck, dass Fischer zu sich selbst oder bewusst zu Ihnen gesprochen hat?“, wurde Klein weiter gefragt. „Das kann ich nicht sagen.“ Jedenfalls war Volker Klein der Meinung, dass Schalke damals stark begonnen und dann nachgelassen habe.
Klaus Fischer war sicher kein Muster an Beredsamkeit. Nicht, dass er nicht reden mochte, aber er bekam die Zähne kaum auseinander. In seinem offenen Hemd und schwarzer Lederjacke ganz der Fußballer, der es mehr in den Beinen, oder wie Fischer eben doch in den Kopfbällen, hat. Dennoch versteifte sich Fischer bei aller Ungelenkheit darauf, den mysteriösen Satz zu sich und nicht zu Klein gesagt zu haben. „Ich habe vor mich hingemurmelt ‚Schon wieder nur den Pfosten getroffen‘, außerdem unterhalte ich mich nicht mit Spielern, die ich nicht kenne. Vielleicht noch mit Katsche Schwarzenbeck, mit dem ich zusammen beim Bund war, aber sonst nicht.“
Im Falle Libuda hatte es eine Geisterverhandlung gegeben, waren doch weder Libuda als Angeklagter, noch sein Hauptbelastungszeuge Stockhausen persönlich vor dem DFB-Gericht erschienen. Libuda war aufgrund eines Beinbruchs nicht reisefähig und hatte das Gericht in einem schwungvoll mit „meiner Unschuld bewusst“ unterzeichneten Brief mitteilen lassen, dass der Inhalt der DFB-Anklage aus lauter Märchen und Romanen bestünde. Horst-Dieter Stockhausen, ehemaliger Spieler von Arminia, konnte nicht erscheinen, weil er seinen Schwager im Kloster besuchen musste, der dort zum Priester geweiht und dann für zwei Jahre ins Ausland gehen würde. Er ließ aber mitteilen, er halte alle Aussagen aufrecht. Stockhausen hatte als Verteidiger und Gegenspieler Libudas zu diesem gesagt, dass er, Stockhausen, nun selbst bald nach vorn gehen müsse, weil durch Arminias Sturm kein Tor falle. „Geh ruhig nach vorn“, soll Libuda gesagt haben, „hier passiert sowieso nichts mehr.“ – „Wenn nämlich bald nichts passiert bei euch, dann müsst ihr das Geld zurück geben“, will Stockhausen weiter gebohrt haben, ohne dass Libuda darauf reagiert hätte. Doch meinte Stockhausen den Eindruck gewonnen zu haben, dass Libuda Bescheid gewusst hätte, sei er doch auch einmal während des Spiels ausgerutscht und überhaupt immer schwächer geworden. Libuda hätte ihm sogar den Tipp gegeben, einen Elfmeter gegen Wittkamp zu schinden. Harte Urteile sprach das DFB-Sportgericht am Ende der Verhandlung. Reinhard Libuda wurde auf Lebenszeit gesperrt, Klaus Fischer für zwei Jahre. Beide Spieler erhielten zusätzlich eine Geldstrafe in Höhe von 2300 Mark und mussten die Kosten des Verfahrens tragen, für die Schalke 04 als Verein haftete.
Salami-Taktik
Kindermanns Salami-Taktik ging den Schalker Verantwortlichen gehörig auf die Nerven. Mit welchen unstatthaften Mitteln Kindermann arbeitete, ging aus einem Gespräch mit einem Mitglied des Kontrollausschusses hervor. Auf die Frage, ob Klaus Fischer nicht schon lange vor der Saison hätte gesperrt werden können, gab es die Antwort: „Ja, selbstverständlich, aber da waren ja keine Spiele, und die Vorsperre hätte gar keine Wirkung ausgelöst.“ Als nächste Instanz stand die Verhandlung vor dem DFB-Bundesgericht an.
Wie eine Bombe schlug in Schalke unmittelbar vor dem Anpfiff gegen den Wuppertaler SV die Nachricht aus Frankfurt ein, dass das DFB-Bundesgericht die zweijährige Sperre von Fischer bestätigt hatte. Gleichzeitig bestätigte das Bundesgericht die Urteile der ersten Instanz gegen Sobieray, Galbierz, Pirkner und Pohlschmidt. Alles andere als ein Freispruch war aufgrund der dünnen Beweislage eigentlich nicht erwartet worden. Schließlich wurde am Donnerstag zuvor beim Frankfurter Landesgericht noch eine einstweilige Verfügung erwirkt. Seine Verurteilung sei – so die zuständige 15. Kammer – nicht rechtens, weil die Indizien gegen Fischer nicht ausreichten.
Um so niedergeschlagener war nachher die Stimmung. „Wir werden jetzt vor ein ordentliches Gericht gehen“, kündigte der Anwalt Dr. Hütsch an. Und Fischer: „Zunächst warte ich einmal die Einspruchsverhandlung meines Kameraden Jürgen Sobieray am 20. Oktober ab. Wir erwarten alle einen Freispruch. Danach kann es auch für mich nur einen Freispruch geben. Ist das nicht der Fall, gehe ich ins Ausland, es liegen schon Angebote vor, auch Sobieray macht mit.“ Die Verhandlung am 20. Oktober endete mit dem Beschluss, im Verfahren gegen Fischer erneut in die Beweisaufnahme zu treten. Während der zweitägigen Verhandlung konnten keine neuen Anhaltspunkte gewonnen werden, die zu einer Verurteilung der Schalker Spieler ausreichen würden. Vielmehr mussten nun größere Zweifel am Erinnerungs- und Wahrnehmungsvermögen des Hauptbelastungszeugen Dieter Burdenski aufkommen.
Denn einerseits drückte sich Burdenski äußerst vage aus („Ich habe noch andere Spieler zu erkennen geglaubt. Obwohl man sich ja auch täuschen kann.“), andererseits schien er vom DFB-Ankläger Kindermann selbst unter Druck gesetzt worden zu sein. Kindermann hatte ihn gleich zu Beginn der Vernehmungen darauf aufmerksam gemacht, dass er als manipulationsverdächtigter Spieler die anstehende Ungarn-Reise als Torwart der B-Nationalmannschaft nicht mitmachen könnte. 14 Tage später wurde jedoch auch im Fall Klaus Fischer entschieden, dass die Strafe bestehen bleibt.
Um die nackte Existenz
In der Bundesliga konnte Schalke keine schlagkräftige Mannschaft mehr aufstellen. Ohne Libuda, van Haaren (beide nun in Straßburg), Sobieray und vor allem Klaus Fischer lahmte das gesamte Team. Es setzte Niederlagen in Serie gegen die fünf B’s (Bochum, Bayern, Bremen, Braunschweig, Berlin).
Auf dem DFB-Bundestag in Berlin trafen sich Kindermann und Siebert zur Aussprache. Mit großer Erleichterung wurde vermeldet, dass die beiden einen Waffenstillstand geschlossen hätten, nachdem Siebert dem DFB-Chefankläger vermittelt hatte, dass es bei Schalke 04 um die nackte Existenz ginge. Denn mittlerweile hatte sich der Skandal auch auf die Zuschauerzahlen ausgewirkt. In keinem einzigen Heimspiel wurde die von Schatzmeister Aldenhoven errechnete Basis von 21.000 Zuschauern erreicht. Kindermann ließ Siebert auch mitteilen, dass gegen die Herrschaften des Schalker Vorstands nichts vorliege.
Auf Schalke kamen schwere Zeiten zu. Schalke tanzte immer noch auf allen drei Hochzeiten und musste dies mit einem dezimierten Kader bewältigen. Das Los für die zweite Runde im Pokalsiegerwettbewerb meinte es aber gut mit den Schalkern. Nächster Gegner waren die Cork Hibernians, die nur deshalb noch im Rennen waren, weil sie in der ersten Runde einen noch schwächeren Kontrahenten (Pesoporikos Larnaka aus Zypern) erwischt hatten. Das Spiel in Cork endete torlos, und Präsident Siebert flog mit dem Gefühl nach Hause, zwei brauchbare irische Stürmer gesehen zu haben. Auf der Suche nach einem Ersatz für den gesperrten Klaus Fischer war ihm die Idee gekommen, die Cork-Stürmer Wigginton und Dennehy im Blickfeld zu behalten. Vor dem Rückspiel wollte er deshalb die Meinung der Zuschauer einholen. „Schreiben Sie uns auf einer Postkarte, wie Ihnen die beiden Spieler mit der Nummer neun und zehn gefallen haben“, ließ Siebert über Mikrophon ausrufen. Doch nach dem 3:0-Spaziergang der Schalker landete nur wenig Post im Schalker Briefkasten.
Die Schalker Personalmisere riss nicht ab. Schalke tat sich auf dem Transfermarkt um und verpflichtete trotz vieler Bedenken (hohe Ablösesumme von 160.000 Mark) den Stürmer Rainer Budde vom MSV. In der Bundesliga ging Schalkes Niederlagenserie (gegen Wuppertal, Köln, Frankfurt, Stuttgart) weiter, lediglich Mönchengladbach und dem MSV Duisburg trotze man ein Unentschieden ab. Im letzten Spiel der Hinrunde beim Hamburger SV stand Schalke schon mit dem Rücken zur Wand. Doch mit einer großartigen Leistung, vor allem in der Abwehr, schafften die Schalker im Schlüsselspiel ein 1:0 und konnte somit noch auf einem Nichtabstiegsplatz überwintern.
Alles beim Alten
In der Winterpause konnte Schalke seine Kräfte sammeln, gewann das Turnier in der Westfalenhalle und spielte mäßig im DFB-Ligapokal (gegen den HSV im Halbfinale ausgeschieden). Noch bevor der Ball in der Bundesliga wieder zu rollen begann, wurde die Berufung von Stan Libuda verhandelt.
Doch auch hier blieb alles beim Alten; Stan blieb lebenslänglich gesperrt, was den Verantwortlichen seines neuen Vereins Racing Straßburg gar nicht gefiel. „Man hat uns betrogen“, hieß es von dort, und Schalke musste sogar um die für ihn gezahlte Ablösesumme bangen, die Straßburg nun zurückzufordern drohte. Zum Auftakt der Rückrunde setzte es eine verdiente 0:1-Niederlage bei Hannover 96 – Schalke wurde einfach nicht mit den Sperren und Verletzungen fertig. Gegen Kaiserslautern gab es zu Hause ein 2:2 nach 2:0-Führung. Vielleicht steckten aber auch die neuen Verdächtigungen vom DFB-Kontrollausschuss in den Köpfen von Rüssmann, Lütkebohmert, Nigbur und Fichtel.
Die Spieler wiesen immer noch jede Schuld von sich. Rüssmann: „Ich weiß wirklich nicht, was ich noch unternehmen soll. Schließlich habe ich einen Eid geschworen, nichts von den Manipulationen zu wissen.“ Dieter Burdenski, Hauptaugenzeuge im Falle Fischer & Co, wurde vom DFB-Sportgericht auch noch belangt: Drei Monate Sperre und ein Bußgeld von 2300 Mark, was fast einem Freispruch gleichkam. Kindermann wörtlich: „Er hat zwar einen schweren Schnitzer begangen, doch hat er nachher dafür gesühnt. Der ehrliche junge Mann hat das Geld genommen, weil er nicht anders konnte. Es stimmt doch, Herr Burdenski, dass Sie nach dieser Angelegenheit Repressalien und Pöbeleien ausgesetzt waren?“ Burdenski: „Das stimmt, man hat mir sogar die Luft aus den Reifen gelassen. Mir tut das alles sehr leid, denn ich hänge sehr an meiner Heimatstadt Gelsenkirchen“.